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15. Januar 2024

Zwischen dem Patriarchat und dem Kampf dagegen

Ein Kommentar von Marléne Baumeister über Canceln, Wokeness und autoritäres Verhalten innerhalb der politischen Linken

Ein prägender Auswuchs des Patriarchats

Eine patriarchale Analyse unserer gegenwärtigen Gesellschaft ist innerhalb der politi­schen Linken allgemein bekannt. Zu Recht analysieren wir Machtstrukturen und stellen dabei immer wieder fest, wie sehr männlich dominantes Verhalten mit Prinzipien und Strukturen unserer Gesellschaft verwoben ist. Ich erkenne immer wieder Strukturen, in denen nicht männliche Personen weniger gut bestehen können. Das liegt meiner Analyse nach vor allem daran, dass sie männliche Stereotype nicht erfüllen. Grundsätzlich ist es durchaus anerkannt, dass es zu kurz greift in Stereotypen zu denken. Nur wird verkannt, was für weitreichende Folgen stereotype Vorstellungen für unser Miteinander haben.

Wie Stereotype Eigenschaften und letztendlich Fähigkeiten beeinflussen

Ein Beispiel aus meiner eigenen Lebensrealität geht so: Offenbar ist es immer noch ein Problem, als weiblich gelesene Person in einem analytischen und abstrakten Beruf zu arbeiten. Es ist scheinbar ein Widerspruch, dass man weibliche Eigenschaften hat und die Fähigkeiten besitzt, einen solchen Beruf auszuüben. Eigenschaften werden mit Rollenbildern und diese Rollen mit Geschlechtern verknüpft. Dieser Kette von Assoziationen nicht zu folgen, ist auch heute überraschend unselbstverständlich. Das manifestiert massiv, was Menschen mit gewissen Geschlech­tern in unserer Gesellschaft tun und was nicht. Wir sind super unflexibel darin, auf eine nicht vollständige Kette von Assoziationen einzugehen, schlichtweg, weil es nicht unseren Erwartungen entspricht. Ein drastisches Beispiel dafür ist, wie wir als Gesell­schaft mit Frauen umgehen, die Mütter und voll berufstätig sind. Oftmals wird es die­sen Frauen als falsch oder schlimm ausgelegt, wenn sie nicht bei ihren Kindern sind, ganz im Gegensatz zu berufstätigen Männern mit Kindern. Das ist eine Ungleichbe­handlung, auch weil es delegitimierend gegenüber der Frau in der beruflichen Rolle ist.

Die gute alte Bierrunde und ihre Folgen

Im politischen begegnet es mir oft, dass die Art und Weise, wie Dinge geregelt wer­den, eben männlich ist. Und damit meine ich nicht, dass sie per Definition nur von Männern geregelt werden können, sondern, dass sie so geregelt werden, weil es so gut zu einer männlichen Sozialisierung passt. Die wichtigen Dinge werden bei einem Bier besprochen und nicht unbedingt dort, wo sie strukturell hin gehören. Und sicherlich kann es passieren, dass man dann zu dieser illustren Runde dazu gebeten wird, aber dann muss man auch mit trinken. Andere Getränke (Wein, Limonade) werden belä­chelt. Hinzu kommt, dass man geübt im Trinken sein muss; die Geschwindigkeit beim Trinken muss zu den anderen Anwesenden passen und sofort betrunken sollte man auch nicht werden. Unter Umständen findet das Gespräch bei erhöhter Grundlautstärke im Stehen statt, oftmals wird geraucht. Als kleinere, schmalere Person mit einer weniger lauten und weniger tiefen Stimme, ist man dann allein von den physika­lischen Gegebenheiten benachteiligt. Eine explizite oder implizite Bitte etwas an die­sen Gegebenheiten zu ändern, wird missverstanden, überhört oder ins lächerliche ge­zogen. Diese Beschreibung ist natürlich hochstilisiert und überzogen. Aber es sollte klar sein, dass auch nur ein einziger dieser Aspekte im Sinne einer gewaltfreien Kom­munikation zu vermeiden ist. Solche Gegebenheiten manifestieren Ungleichheiten und Menschen, aus welchen Gründen auch immer sie mit diesen Gegebenheiten nicht kön­nen, werden für einen Austausch delegitimiert.

Politischer Austausch passiert oft überraschend autoritär

Warum und wie man sich die Gegebenheit für ein politisches Gespräch vorstellt, ist sehr individuell. Hier nur auf das Geschlecht zu schauen ist allein definitiv nicht ausreichend. Für mich bedeutet eine intersektionale Perspektive auf Parteistrukturen und Parteiarbeit immer, sehr offen und hinterfragend auf diese Dinge zu blicken. Durch meine Perspektive als Mensch mit Autismus fällt mir diese differenzierte Betrachtung leicht. Ist man selbst nicht so hundertprozentig flexibel in auf Bezug die Art und Weise von Kommunikation, ist es ein Stück weit selbstverständlicher Dinge für sich einzufordern. Im Endeffekt möchte ich aber auch aus Prinzip meinem gegenüber offen begegnen und bin bereit über die Art und Weise der Kommunikation zu verhandeln. Alles andere empfinde ich als autoritär. Das ist vielleicht auch einfach eine Perspektive meiner Generation. Mein Eindruck ist jedenfalls, dass es bei den Jusos durchaus ein Bewusstsein für den von mir beschriebenen Sachverhalt gibt, wohingegen ich oft ältere Männer in dieser Partei erlebe, die sich der beschriebenen Dinge und damit auch ihrer eigenen Wirkung nicht immer bewusst sind. Da entsteht dann der Eindruck, Politik gehe eben so mit Bier und harter Ansage. Dass beides überhaupt nichts damit zu tun hat, ob ein Mensch ein:e gute Sozialdemokrat:in ist oder politisch taktieren kann, wird irgendwie nicht bedacht. Wenn man sich gegenseitig seinen politischen Stil vorwirft, dann entsteht auch selten ein guter inhaltlicher Diskurs, wenngleich dieser vielleicht bitter nötig und auch durchaus von beiden Seiten gewünscht ist.

Die Situation bei den Jusos

Nun wäre es ja schön, wenn wir behaupten könnten, dass wir das bei den Jusos alles besser machen. Tatsächlich schreibe ich diesen Text aber vor allem, um klar zu ma­chen, dass das nicht so ist. Anfangs schrieb ich, dass wir kein Problem damit haben, das beschriebene Verhalten als patriarchal und damit als zu überwinden zu analysie­ren. Dem folgend würde ich auch nicht sagen, dass wir bei den Jusos ein weniger ausgeprägtes Problem mit autoritär-patriarchalen Verhaltensweisen haben (, womit ich nicht bezweifeln möchte, das das vorkommt). Ich möchte behaupten, dass die politische Linke in ihrem anerkennungspolitischen Kampf zu einer anderen autoritären Kommunikationsform gekommen ist. Erstmal erscheint die Idee, sich gegen das eine autoritäre Verhalten mit einem anderen durchzusetzen, gar nicht so abwegig. Es löst aber das Problem der Anwesenheit von autoritären Machtstrukturen nicht. Wie auch bei den älteren Männern in der SPD habe ich nicht den Eindruck, dass es sich hier um einen bewussten Prozess handelt, vielmehr hinterfragen wir zu wenig, wie wir auf etablierte Kommunikationsstrukturen der SPD antworten. Außerdem scheint mir, dass es gesamtgesellschaftlich keinen Gegenentwurf zu autoritärer Führung oder Überzeugung gibt.

Perspektiven hinterfragen statt canceln

Auch wenn wir uns als Jusos zu gemeinsamen Werten und politischen Überzeugungen bekennen, so fällt es uns gerade schwer, uns gegenseitig zu vertrauen, dass wir die auch vertreten. Das passt zu unserer Analyse, dass auch wir patriarchal und rassis­tisch agieren, weil wir so sozialisiert wurden. Aber wir vergessen dabei, dass es einen Unterschied macht, ob jemand hinterfragt, wie er:sie sich verhält, oder nicht. Diese Analyse besagt eigentlich, dass es auf genau dieses Hinterfragen ankommt. Trotzdem sind wir schnell dabei in Frage zu stellen, ob jemand genug hinterfragt oder überhaupt. Ich habe mich oft gefragt, ob man so einen Vorwurf selbst erfahren haben muss, um zu verstehen, wie ungerecht sich so etwas anfühlen kann. Oft ist es mehr eine Annahme als eine Tatsache, dass man nicht hinterfragt hätte. Um das zu beurteilen braucht man im Grunde viel Wissen über die Perspektive und den Kenntnisstand der anderen Person. Wissen, das man in der Regeln von seinem:ihren Gegenüber in einer politischen Debatte nicht hat. Eskaliert eine solche Situation, das heißt, es folgt auf die Unterstellung man hinterfrage nicht genug, das Ablehnen der Person, dann möchte ich das canceln nennen. Ich möchte an dieser Stelle ganz entschieden sagen: Ja, das existiert. Ich habe das und die damit verbundene soziale Ächtung selbst erlebt. Rechte behaupten, dass jegliche anerkennungspolitische Debatte canceln sei. Das möchte ich entschieden ablehnen. Trotzdem existiert Canceln bei uns. Ich möchte Canceln nicht missverstanden sehen als einen Prozess, der Menschen komplett ausschließt. Bei allem, was mir begegnet ist, hat es sich um Konflikte gehandelt, die sich vor allem mit der Zeit lösen ließen, was wohl auch daran lag, dass die inhaltlichen Differenzen im Endeffekt gar nicht so groß waren. Ich möchte den Kern des Cancelns daher eher als eine Art der gesellschaftlichen Delegitimation bezeichnen. Von dem UB Dortmund gab es eine Meinung und ich konnte als Vorsitzende des UB Dortmund nichts, aber auch gar nichts gegen diese Meinung tun. Mit der Zeit haben viele unangenehme und schmerzhafte Gespräche dazu geführt, dass die allgemeine Meinung von meinem UB und mir wieder mit meiner eigenen Meinung von mir und meinem UB zusammengepasst hat. Diese Erfahrung war leidvoll für uns, sie hat immer wieder uns und unsere Perspektiven in Frage gestellt. Dieses Leid steht für mich in keinem Verhältnis zu einem anerkennungspolitischen Kampf, der mir für sich genommen unglaublich wichtig ist.

Die Juso-Version von autoritärer Kommunikation

Warum machen wir das? Warum gehen wir so miteinander um? Ich denke, wir fühlen uns moralisch im Recht dazu. Wir haben alle die Überzeugung, dass Rassismus, Sexis­mus und all die anderen Ungerechtigkeiten zu überwinden sind. Und wir haben ge­lernt, dass wir laut sein müssen, wenn wir gehört werden wollen. Das machen alte weiße Männer in Parteien schließlich auch so. Also sind wir hart zu jedem:jeder, der:die unsere moralische Überzeugung nicht teilt oder auch nur den Anschein er­weckt, es nicht zu tun. Dabei hilft uns Wokism. Die gesamte politische Linke vertritt gerade die Auffassung, dass es legitim und richtig ist, laut zu sein, solange man für die richtige Sache laut ist. Wir nehmen in Kauf, dabei im Zweifel Grenzen zu überschreiten. In der dar­auf folgenden Eskalation wird wenig auf den angemessenen Umgang geschaut. Social Media ist ein wesentliche Bestandteil dieser Eskalation. Kapitalistisch getriebene Plattformen begünstigen laute einfach zu verstehende Narrative, die in ihrer Kritik wenig strukturell verankert sind. Anerkennungspolitik ist aber komplex und als Jusos kritisieren wir unsere Gesellschaft strukturell, nämlich antikapitalistisch. Damit passt Woksim nicht besonders gut zu unserer Art und Weise Politik zu machen. Und vor al­lem, und das möchte ich mit diesem Text sagen, lässt er uns autoritär sein. Wir füh­len uns moralisch im Recht uns autoritär gegenüber anderen zu verhalten, indem wir vorschnell über sie urteilen und ihnen implizit den falschen Wertekompass unterstel­len. Damit stoßen wir Menschen vor den Kopf, mit denen wir uns eigentlich verbün­den sollten und wir bieten konservativen und rechten Kräften ein Feindbild. Zusätzlich entfernen wir uns von strukturellen Gesellschaftsanalysen.

Ein Appell für mehr Respekt und konstruktiven Umgang

Je länger ich darüber nach­denke, desto deutlicher wird für mich, wie autoritär und damit unangemessen Kommu­nikationsstrukturen sind, die in unserem Verband ziemlich selbstverständlich sind. Was bringt es, mit Menschen in einem konstruktiven Austausch zu gehen, die der Meinung sind, dass nur ihre Meinung richtig ist? Dass man den falschen Wertekompass hat, wenn man ihnen nicht zustimmt? Es bringt gar nichts. Und ein solches Verhalten ist genauso delegitimierend und diskursverweigernd, wie das Verhalten ältere Männer in der SPD, die von mir erwarten, dass ich bei Zigarette und Bier mit ihnen den Sinn und Unsinn von Feminismus diskutieren müsste. Ich wünsche mir, dass wir mehr hinterfragen, wie wir bei Parteiarbeit miteinander umgehen. Im Sinne einer strukturellen Analyse von Ungleichheiten ist klar, dass das elementar für die Vielfalt innerhalb einer Partei ist. Denn nur wenn unsere Kommunikationsformen konstruktiv und niederschwellig sind, können wir gesellschaftliche Vielfalt abbilden. Ich denke zudem, dass es langfristig keine andere Lösung für die politische Linke als Ganzes, für die Jusos und die SPD gibt, als zu einem konstruktiven Austausch über Anerkennungspolitik zu kommen. Denn nur so schaffen wir es unsere politischen Inhalte zu erklären und glaubhaft zu vermitteln.

Beim Aufnehmen der Bilder hat Marléne sich ähnlich gefühlt wie beim Schreiben des Textes.


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